„Deine unglücklichsten Kunden sind deine ergiebigste Quelle, um zu lernen“, sagt Bill Gates.
Ganz in diesem Sinne ist die Win-Loss-Analyse eine der besten Maßnahmen, um zu lernen, wie ihr euer Produktmanagement und Produktmarketing und euren Vertrieb optimieren könnt.
Was ist die Win-Loss-Analyse?
Sie besteht aus strukturierten, regelmäßigen Interviews mit Kunden und verlorenen Kunden, nach einem erfolgreich abgeschlossenen Geschäft, oder nach einem geplatzten Geschäft oder einer Kündigung.
Du möchtest ergründen, warum und wie sich die Kunden entschieden haben, dein Produkt zu kaufen, oder nicht zu kaufen. Dein Ziel dabei ist, herauszufinden, was dein Unternehmen gut oder weniger gut gemacht hat, wie ihr euch verbessern könnt und wie ihr im Vergleich mit euren Wettbewerbern abschneidet.
Klingt richtig gut, oder?
Die Erfahrung und immer wieder auch Studien zeigen jedoch: Die Zahl der Unternehmen, die die Win-Loss-Analyse richtig machen, geht buchstäblich gegen Null!
Selbst wenn sie sie durchführen, ziehen sie praktisch keine relevanten Erkenntnisse daraus.
Warum ist das so? Analysieren wir die Gründe – Einsicht ist schließlich der erste Schritt zur Verbesserung!
1. Über 90% der Unternehmen betreiben keine systematische Win-Loss-Analyse
Der überwiegende Teil der Unternehmen macht bei der Win-Loss-Analyse nichts falsch – er macht überhaupt nichts.
Auf US-Webseiten liest man mit Verweis auf das Pragmatic Marketing Institute immer wieder, dass weniger als 20 Prozent der Unternehmen sogenannte „Post Decision Interviews“ (PDIs) durchführen. In einer Studie der Aberdeen Group von 2014, sagten 42 Prozent der 245 Studienteilnehmer, dass sie PDIs durchführten.
Anzunehmen ist: Unter deutschen Unternehmen ist der Anteil nochmals deutlich geringer; im Produktmanagement sind uns die Amis meist um Jahre voraus.
Das bestätigen die Ergebnisse meiner eigenen (nicht repräsentativen) Untersuchungen: Über mehrere Jahre hinweg habe ich 150 Teilnehmer meiner Produktmanager-Trainings gefragt, ob ihr Unternehmen Win-Loss-Interviews und -Analysen durchführt.
Erschreckend: Weniger als ein Drittel führt überhaupt Interviews mit Kunden, doch davon weniger als ein Viertel Interviews mit gewonnenen und verlorenen Kunden.
Ein Viertel von einem Drittel: Das bedeutet, dass vielleicht 8 bis 10 Prozent der betrachteten Unternehmen überhaupt relevante Marktinformationen aus Win-Loss-Analysen beziehen.
Das wäre schon ein Lichtblick… Doch da sind wir beim nächsten Fehler:
2. Win-Loss-Analysen durch die Vertriebsabteilung sind nahezu wertlos
Von den Unternehmen, die Win-Loss-Analysen betreiben, führt in 90 Prozent der Fälle der Vertrieb selbst die Interviews durch.
Das klingt zunächst nachvollziehbar, da der Vertrieb den Kontakt zu den (verlorenen) Kunden hat und selbst aus den Ergebnissen viel lernen könnte.
Seien wir realistisch: Wie objektiv wird der Vertrieb sein, wenn er sich selbst überprüfen soll? Wie motiviert ist er wohl, nach eigenen Fehlern oder Versäumnissen zu suchen und diese auch noch intern zu präsentieren?
Laut meiner Umfrage führt die Win-Loss-Analyse durch den Vertrieb zu folgenden “Erkenntnissen”:
- Warum hat der Kunde gekauft: In mehr als 50 Prozent lag es am optimalen Verkaufsprozess, also an der Arbeit des Verkäufers oder Account Managers.
- Warum hat der Kunde nicht gekauft: In mehr als 80 Prozent der Fälle war das Produkt zu teuer oder wichtige Funktionen fehlten.
Erkennst du ein Muster?
Dabei ist bekannt, dass Produktfeatures oder der Preis bei der Entscheidung für oder gegen einen Anbieter natürlich eine Rolle spielen, aber selten den endgültigen Ausschlag geben.
Ist der Vertrieb für die Win-Loss-Analyse verantwortlich, wird er kaum ehrliche und objektive Erkenntnisse zutage fördern. (Das ist nicht mal ein Vorwurf: Jede Abteilung würde versuchen, sich im besten Lichte zu präsentieren und die Schuld auf andere zu schieben!)
Dazu kommt, dass verlorene Kunden selten ehrlich sind, wenn sie vom Vertrieb selbst interviewt werden. Eventuell ging ein langer Prozess und intensive Verhandlungen voraus, dann musste der Interessent das Angebot des Verkäufers absagen. Jetzt möchte er das Verhältnis nicht weiter belasten, indem er den Ansprechpartner seine Fehler nochmals unter die Nase reibt: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Er führt lieber die üblichen, unverbindlichen Argumente an.
Oft befragt der Vertrieb die Kunden nicht einmal mehr. Bei verlorenen Geschäften führt das Vertriebsteam intern ein Review durch und ermittelt aus den Meinungen die vermeintlichen Gründe. Bei gewonnenen Projekten spart man sich selbst das.
3. Das Management steht nicht voll hinter der Win-Loss-Analyse
Okay, also nicht der Vertrieb – wer dann?
Am besten eine „neutrale Einheit“. Sofern es die nicht gibt, das Produktmanagement, mit einem eigenen Research-Team oder durch einen externen Dritten.
Was wird wohl passieren, wenn du als Produktmanager zum Vertrieb oder zu Geschäftsführung gehst und sagst: „Ich nehme jetzt die Win-Loss-Analyse in die Hand, damit wir unsere Marketing- und Vertriebsprozesse verbessern können.“?
Selbst in den offensten, agilsten Unternehmen wirst du damit Befürchtungen und starken Gegenwind auslösen.
Der Vertrieb, der intern meist viel Einfluss besitzt, wird dich kaum als selbst ernannte Kontrollinstanz akzeptieren. Dein Vorschlag wird als Einmischung in Bereiche aufgefasst werden, für die du nicht zuständig bist, als Suche nach Schuldigen für Misserfolge oder als unberechtigte Kritik am Status quo, wo doch alles ganz gut läuft.
Ohne die volle Unterstützung des Managements ist die Win-Loss-Analyse zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn sie vom Management „geduldet“ wird oder du sie auf eigene Faust durchführst (Tu das nicht!), wird sie zu nichts führen. Niemand wird sich für die Ergebnisse interessieren, daraus umsetzbare Ziele ableiten oder konkrete Maßnahmen umsetzen.
Aus Erfahrung habe ich gelernt: Als Produktmanager eine “echte” Win-Loss-Analyse einzuführen, gehört zu den herausforderndsten Aufgaben überhaupt!
4. Unternehmen geben sich mit oberflächlichen und irrelevanten Erkenntnissen zufrieden
Selbst wenn du die Win-Loss-Analyse als perfektes System konzipiert hast, die eine und größte Herausforderung bleibt:
Nach jedem Interview musst du beurteilen, ob du eine echte Entdeckung gemacht und die Wahrheit ans Licht gebracht hast.
Für deinen Gesprächspartner ist es viel angenehmer, wenn er dir sagt, was du hören willst. Für dich ist es viel angenehmer, wenn deine Meinung bestätigt wird; wenn herauskommt, dass alles doch ganz gut lief oder die Ursachen für verlorene Geschäfte außerhalb eures Handlungsbereichs lagen.
Tief gehende Interviews zu führen erfordert dagegen viel Erfahrung und Übung, Geduld und den Willen, für euch unangenehme Wahrheiten aufzudecken.
Laut einer Untersuchung der Anova Consulting Group fehlen diese Fähigkeiten den meisten Unternehmen: Nur in etwa 40% aller geführten Win-Loss-Interviews kommen die wahren Gründe für ein geplatztes Geschäft ans Tageslicht.
5. Unternehmen unterschätzen den Aufwand für die Win-Loss-Analyse
Hinter der systematischen Win-Loss-Analyse eine Menge Arbeit:
Ihr müsst ein Konzept entwickeln, für welche Produkte und Marktsegmente, mit welchen und wie vielen Kunden ihr Interviews führen möchtet.
Ihr müsst laufend Kunden (einfacher) und Ex-Kunden oder verlorene Kunden (schwieriger) finden, die bereit sind, offen mit euch über ihr Erlebnis mit euch, ihre Motivationen und Gefühle zu reden. Ihr müsste regelmäßig Termine mit diesen Gesprächspartnern vereinbaren.
Ihr müsst Leitfäden für die Interviews entwickeln, Mitarbeiter schulen; jedes Gespräch vorbereiten, durchführen, nachbereiten und dokumentieren. Ihr müsst die Ergebnisse auswerten, regelmäßig mit den verantwortlichen besprechen und davon jeweils neue Maßnahmen und Ziele ableiten und umsetzen.
Die Win-Loss-Analyse machst du nicht nebenher. Du brauchst Zeit, Unterstützung durch ein Team und/oder Budgets, um einen Dienstleister mit den Interviews zu beauftragen. Womit wir wieder bei der Management-Unterstützung wären…
Fazit: ganz oder gar nicht
Die Vertriebsteams von Unternehmen, die Win-Loss-Analysen durchführen, haben deutlich höhere Abschlussquoten als andere, wie die bereits erwähnte Studie der Aberdeen Group ergab – das ist nicht wirklich überraschend.
Bei der Win-Loss-Analyse gilt jedoch: ganz oder gar nicht! Mache es richtig, vermeide die großen Fehler, sonst bringt sie dir nichts. Schließlich möchtest du tatsächlich herausfinden, wo ihr euch verbessern könnt – und keine Entschuldigung dafür, dass alles bleibt, wie es ist.